Vom fairen Handel bis zum Gütesiegel

Von Riccarda Wöppelmann

Kaffee – Vom fairen Handel bis zum Gütesiegel

Wir kennen es wohl alle: vom Bio Siegeln und Prüfzeichen bis hin zu vielzähligen Test-Labels und Nachhaltigkeitsetiketten. In Supermarkt werden wir als Kunden förmlich erschlagen von diversen Gütesiegeln, die uns Nachhaltigkeit, gute Arbeitsbedingungen, fairen Handel oder die Qualität bestimmter Produkte garantieren sollen. Doch welche Gütesiegel kennen wir alle eigentlich wirklich? Wissen wir, was sie genau aussagen? Oder achten wir als Kunden gar viel zu sehr oder viel zu wenig auf jene Siegel? Im folgenden Beitrag möchte ich mit Ihnen einen historischen Überblick über die Entwicklung des fairen Handels und der Gütesiegel machen, um einerseits in Erfahrung zu bringen, welche gesellschaftlich-ökonomischen Zusammenhänge mit der Entwicklung verbunden sind und andererseits einen Blick darauf werfen, wie sich der faire Handel und die Gütesiegel in europäischen Ländern ausbreiteten.

Um nun die sozio-ökonomischen Zusammenhänge des fairen Kaffeehandels nachvollziehen zu können, ist es relevant die Identifikationszuschreibungen beim Verbraucher sowie die historischen Entwicklung durch den kolonialen Handel zu betrachten. So stellt sich erster Hand die Frage: Warum wurde der faire Handel überhaupt zunehmend relevanter für die Gesellschaft und wodurch entstand der Drang qualitativ hochwertigere Produkte zu kaufen, die „fortgeschrittene westliche Standards“ wie einen geregelten Arbeiterschutz, menschenwürdige Arbeitsbedingungen oder soziale Absicherung repräsentieren?

Ruben Quaas, welcher sich in seinem Werk „Fair Trade – Eine global-lokale Geschichte am Beispiel des Kaffees“ mit diversen internationalen Kaffeeprozessen und ihren kulturellen Hintergründen sowie der Verbindung zwischen dem „Hier“ (Deutschland) und dem „Dort“ (Kaffee-Exportländer) auseinandersetzte, verdeutlicht, dass der faire Handel als ein Konzept direkter Akteurszusammenhänge im sozialen Feld verstanden werden muss. Dies bedeutet so viel wie, dass der Verbraucher, der Produzent sowie historische, kulturelle und ökonomische Einflussfaktoren und Beziehungen ein weites Netz spannen über welches sich diese Bezeichnung definiert.

Bis in die frühen 1990er-Jahre waren […] faire gehandelte  Waren in Deutschland fast ausschließlich über die sogenannten Weltläden und an ehrenamtlich betriebenen Verkaufsständen erhältlich[,]Quaas; 2015:13

was dafür sorgte, dass Verbraucher oftmals keinen direkten Bezug zu den Produkten und vor allem nicht zu den Produzenten hatten. Demzufolge entstand das Vorhaben, Produkte aus fairem Handel mittels eines Gütesiegels massenmarkttauglich zu machen und somit auch für mehr Verbraucher zugänglich zu machen.

Wenn wir den fairen Kaffeehandel – oder besser gesagt den gesamten fairen Handel – als soziokulturelles Konstrukt und als ein historisches Phänomen betrachten, so ist ersichtlich, dass die nationalen Grenzziehungen (und damit auch das nationale Empfinden) durch die Globalisierung und den Konsum von Waren aus fernen Ländern zunehmend schwinden (Quaas; 2015:18). Die Näherrückung ferner Länder (gemeint sind damit z.B. Produktions-Ursprungsländer des Kaffees wie Südamerika) an die „westliche Gesellschaft“ ist hierbei ein Kernelement des fairen Handels geworden, sodass Gefühle wie Mitleid, Solidarität oder Unterstützungshilfe nur die Spitze des Eisbergs einer bildlichen, emotionalen Beziehung zwischen dem Abnehmer und den Produzenten darstellen. Hauptpunkt für diese Verbundenheit ist u.a. auch das erzeugte Gefühl, dass die Abnehmer (durch den Konsum fair gehandelter Produkte)

[…] überzeugt waren, gemeinsam mit den im Dort verorteten Produzenten für oder gegen etwas Bestimmtes zu kämpfen oder auf etwas hinzuarbeiten

Quaas; 2015:26

und sich in gewisser Weise durch den Konsum fairer Produkte politisieren konnten. Das Gefühl einer immer kleiner werdenden Welt hebt gleichzeitig das Gefühl einer internationalen Verbundenheit und das Bedürfnis des eigenen Engagements hervor. Dieses wachsende Bewusstsein bezüglich einer immer kleiner werdenden Welt und dem Gefühl einer Weltgemeinschaft anzugehören, sorgt auch für die Wahrnehmung eines globalen (-sozialen) Zusammenhangs (Quaas; 2015:94). Bezieht man nun diese Thematik auf den fairen Handel, so wird dazu heute die allgemeine Definition deutlich, die besagt, dass der faire Handel eine Handelspartnerschaft sei, die nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt und ihren Fokus auf benachteiligte Produzenten (in diesem Sinne werden ferner die ErzeugerInnen eines Produktes in entfernten Ursprungsländern bezeichnet) legen (Quaas; 2015:22). 

Nachdem wir nun wissen, warum das Interesse für fair gehandelte Produkte aus fernen Ländern in unserer Gesellschaft stieg, ist es umso interessanter zu erfahren, wie es dazu kam, das sich die Bezeichnung des fairen Handels und den damit zusammenhängenden Gütesiegeln etablierten.

Durch entwicklungspädagogische Arbeiten verschiedener Organisationen, die die Bewusstseinsbildung der Verbraucher anregen sollte; veränderte Marketingstrategien, die den Kaffee zu einem Gegenstand mit „kultureller Interesse“ verwandelten, und Reformen im „globalen Norden“, stiegen auch die Nachfragen zu Produktionsbedingungen (Quaas; 2015:96).  In den Niederlanden bildete sich 1988 mit dem sog. Havelaar-Gütesiegel der erste Anstoß für Qualitätssicherungen und erste Gütesiegel-Initiativen in anderen Ländern wie Deutschland. Faire Waren, die sonst nur in „Weltläden“ erhältlich waren, schwer erreichbar waren und demnach auch keine bis nur wenig Interesse bei den Konsumenten erweckten, wurde auf diesem Weg das erste Mal massenmarkttauglich gemacht. Auch der Begriff des eigentlichen Fairen Handels, wie er u.a. heute noch verstanden wird, entstand zu genau jener Zeit der 1980er und den frühen 1990er Jahren (Vgl. Quaas; 2015:16), auch wenn das faire Handeln schon weitaus früher begann (Quaas; 2015:54). Der Kern des fairen Handels, so äußert Quaas, liegt jedoch im zeitlichen Rahmen der 1950er Jahre, in der die Interesse des gesamten „globale Nordens“ für die Vorgänge im „globalen Süden“ anstieg und durch die Gründung des niederländischen S.O.S. und dem deutsch-katholischen Hilfswerk Misereor der erste Grundstein für den fairen Handel gesetzt wurden. Gerade in den 1950er Jahren etablierten sich durch christliche Kirchen vermehrt Armenfürsorgen, die sich durch karitative Aktionen damit beschäftigten den „benachteiligten Ländern“ zu helfen, so dass die evangelische Kirche z.B. die Spendensammlungs- und Hilfsaktion „Brot für die Welt“ oder eine niederländische Jugendgruppe der katholischen Volkspartei 1959 die „Stiftung zur Hilfe für unterentwickelte Regionen“ (S.O.S) gründeten (Quaas; 2015:56ff). Schlussendlich breitete die Zusammenarbeit der Organisationen Misereor und S.O.S. den Weg zum fairen Handel über kirchliche Hilfswerke und den Verkauf von ausländischen Waren in den Niederlanden, die den Produzenten zu einem besseren Einkommen verhelfen sollten (Quaas; 2015:61ff, 113). Da sich der Kaffee perfekt als politische Konsumware verkaufen ließ, war es nicht verwunderlich, dass die erste Kaffee Lieferung von 21.000 Kilogramm in Deutschland innerhalb von sechs Wochen verkauft wurde und der Erzeugerpreis bei 5,60 DM pro Kilo Rohkaffee lag (Quaas; 2015:138,140). Das bereits angesprochene Max Havelaar-Gütesiegel war schließlich das erste Siegel, welches eine ethische Wertzuschreibung signalisieren sollte. Ab einem festgelegten Mindestpreis von 1,15 USD je englischen Pfund Rohkaffee und einem nachprüfbaren Bezug des Kaffees von bestimmten Produzentengruppen konnten Röstereien ihren Kaffee  mit diesem Siegel versehen (Quaas; 2015:285). Handelspartner, Produzenten und Genossenschaften, welche für die Max-Havelaar-Organisation infrage kamen, wurden in einem Produzentenregister eingetragen. Dafür mussten die kaufenden Organisationen 60% ihres vereinbarten Preises als Vorauszahlung überweisen und der Max-Havelaar-Organisation Einblick in ihre Bücher gewähren, damit diese die bezahlten und gelieferten Mengen überprüfen konnten.

Die Etablierung des Siegels und der hohe Gewinn von 2-3% des Marktanteils sowie die Tatsache, dass das niederländische Parlament auf den Konsum von fair gehandelten Kaffee umstieg, führte zur großen öffentlichen Aufmerksamkeit (Quaas; 2015:286). Während es in den Niederlanden schon wesentlich früher zur Durchsetzung des fairen Handels und der Verwendung von Gütesiegeln kam, zog Deutschland erst im Juni 1989 hinterher, zu welchem Zeitpunkt mittels einer Kooperation der Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt mbH (GEPA), der Aktion Arme Welt (AAW) und drei Filialen der Supermarktkette Gottlieb in Tübingen der erste fair gehandelte AHA-Kaffee in den deutschen Supermärkten verkauft (Quaas; 2015:287f) und somit das Ziel der Positionierung des Konzeptes des fairen Handels in den konventionellen Markt erreicht wurde.

Doch wo liegen denn nun die Probleme bei der Durchsetzung von Gütesiegeln? Und können wir uns als Verbraucher eigentlich ohne Sorgen auf diese Siegel verlassen?Christoph Scherrer und Thomas Greven, die sich in ihrem Werk „Soziale Konditionalisierung des Welthandels“ ebenfalls mit dem Phänomen des fairen Handels und dem Gütesiegelprogramm beschäftigten, äußern hierzu, dass mit der Vergabe von Gütesiegeln auch ein Imagegewinn erzielt werden kann, sodass zu berücksichtigen ist, dass es aufgrund verschiedenen Kategorien wie Zertifizierung, Vergabe, Verwendung, Arbeitspolitischer Regelungsinhalt, Transparenz, Finanzierung und Überwachung erhebliche Unterschiede zwischen den Gütesiegeln gibt (Vgl. Scherrer et al.; 1999:34). Vor allem der steigenden Konkurrenzkampf zwischen dem konventionellen Kaffeemarkt und dem Markt des fairen Handels hatte zufolge, dass sich das Gütesiegel auch immer mehr an die Spielregeln des Wettbewerbs, den Bedingungen des konventionellen Marktes und der gesellschaftlichen Nachfrage anpassen musste. Dies trug dazu bei, dass der faire Handel immer undefinierbarer wurde und auch die Gütesiegel mehr an Bedeutungs- und Vertrauenskraft verloren. Quaas beschreibt es als entstehendes Spannungsfeld, in welchem der marktwirtschaftliche Wettbewerb und die nicht-marktwirtschaftliche Zielsetzung sich gegenüberstehen. Darüber hinaus lassen Gütesiegel oftmals auch Produktdifferenzierungen zu, was bedeutet, dass ein Hersteller oder Händler sowohl faire als auch „unfaire“ Waren anbieten kann und somit keine klare Transparenz gegebene ist. So können Verbraucher fair gehandelte Produkte eines Unternehmens kaufen und dennoch „die Vermarktung/den Verkauf unfair gehandelter Produkte“ unterstützen, da das Sortiment des Unternehmens nicht komplett auf „fair gehandelten Produkten“ basiert (Vgl. Scherrer et al.; 1999:35). So beschreibt Scherrer zusätzlich:

Die Handelsketten können sich durch gesiegelte Produkte freikaufen, weil neben dem „fairen“ Kaffee etc. die anderen, unter miserablen Bedingungen hergestellten Produkte im Regal stehen, die aufgrund der geringeren Preise von der Mehrheit der Konsumenten bevorzugt würden.

(Scherrer, Frank; 1996:1496 zitiert nach Scherrer et al.; 1999:37)

Darüber hinaus gibt es auch „Unternehmenseigene ‚Gütesiegel‘“, welche ohne die Etablierung von erkennbaren Überwachungsmaßnahmen vergeben werden und den Verbraucher somit durch die Verbreitung von eigener Siegel ohne wirklich überprüfbare Garantien in dir Irre führen. Was heute vor allem beim Einkaufen sehr hervorsticht, ist die unbeschreibliche Menge an Siegeln und Labels, die die meisten Verbraucher mehr verunsichern und überfordern anstelle, dass sie jene informieren. Hier als ein Verbraucher im Markt ohne ein großes kontextuelles Wissen den Überblick zu behalten, ist schier unmöglich – zumal sich zu den Hauptkategorien von Siegeln (wie Produktlabels, Eigenmarken, Firmenlabels, Gütezeichen und Prüfzeichen (uvm.)) noch „Unterkategorien“ einbinden. Auch Rolf Buschmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, äußert, dass das System der Label und Kennzeichnungen unter anderem daran erkrankt, dass bei vielen kaum zu erkennen ist, wofür sie eigentlich genau stehen1Harald Willenbrock (o.D.): „Wie gut sind Gütesiegel?“. URL: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2011/die-bewegte-mitte/wie-gut-sind-guetesiegel. Zuletzt abgerufen am 14.03.2020. Doch mittels einer App2Die Verbraucher Initiative e.V. (o.D.): „Label-App“. URL: https://label-online.de/label-app/. Zuletzt abgerufen am 14.03.2020 der Verbraucher Initiative e.V. soll hierfür abgeholfen werden, da durch diese Verbraucher im Markt Produkte scannen und mittels einer eigens angelegten Bewertungsskala der Initiative erkennen können, was hinter den gelisteten Labeln steckt und ob/in wie weit dieses eine qualitative Aussage zum Produkt oder zum Unternehmen darstellt3Die Verbraucher Initiative e.V. (o.D.): Label-App. URL: https://label-online.de/label-app/. Zuletzt abgerufen am: 14.03.2020.


Quellen

Quaas, Ruben (2015): „Fair Trade – Eine global-lokale Geschichte am Beispiel des Kaffees“. Köln: Böhlau

Scherrer, Christoph und Greve, Thomas (1999): „Soziale Konditionalisierung des Welthandels – die Instrumente Sozialklausel, Verhaltenskodes und Gütesiegel in der Diskussion“. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Fußnoten

  1. Harald Willenbrock (o.D.): „Wie gut sind Gütesiegel?“. URL: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2011/die-bewegte-mitte/wie-gut-sind-guetesiegel. Zuletzt abgerufen am 14.03.2020
  2. Die Verbraucher Initiative e.V. (o.D.): „Label-App“. URL: https://label-online.de/label-app/. Zuletzt abgerufen am 14.03.2020
  3. Die Verbraucher Initiative e.V. (o.D.): Label-App. URL: https://label-online.de/label-app/. Zuletzt abgerufen am: 14.03.2020

Bildquellen

StockSnap (08.2017): ohne Titel. URL: https://pixabay.com/de/photos/stahl-schaufel-holz-rack-samen-2595828/. Lizenz: Creative Common (CC). Zuletzt abgerufen am: 29.03.2020

Zhxy560 (09.2019): ohne Titel: URL: https://pixabay.com/de/photos/kaffee-hintergrund-lebensmittel-4512564/. Lizenz: Creative Common (CC). Zuletzt abgerufen am: 29.03.2020

Free-Photos (10.2015): ohne Titel. URl: https://pixabay.com/de/photos/kaffee-herstellung-cafe-shop-984328/. Lizenz: Creative Common (CC). Zuletzt abgerufen am: 29.03.2020

Maxhavel (02.2008):  „Max Havelaar Bananen“. URL: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Max_Havelaar_Bananen.jpg. Lizenz: Creative Common (CC). Zuletzt abgerufen am: 29.03.2020


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